Poly-Elternschaft: Rechtliche Möglichkeiten

„Wie schaut das eigentlich rechtlich aus?“ ist eine Frage, die uns häufig gestellt wird. Zurecht, wie ich finde. Denn eigentlich ist es in unserem Rechtssystem nicht vorgesehen, dass mehr als zwei Personen Eltern für ein Kind sind.

Die soziale Realität schaut bekanntlich anders aus. Es gibt ja abgesehen von polyamoren Familien auch viele andere Lebenssituationen: Patchworkfamilien mit geschiedenen und neuen Partner*innen, Großeltern ziehen Enkelkinder auf, Alleinerzieher*innen,
Co-Parenting, Pflegefamilien, usw.. Jede Situation hat eigene rechtliche Bedingungen. Da kann bei all den juristischen Fachbegriffen, sozialstaatlichen Regelungen und arbeitsrechtlichen Konstellationen, die an bestimmte Bedingungen geknüpft sind schon der Kopf schwirren.

Warum kümmern wir uns um das Rechtliche?
Unser Ziel als Eltern zu dritt ist, dass wir die Unterschiede zwischen den rechtlichen Eltern und mir so gering wie möglich machen. Das hat sowohl praktische Vorteile als auch emotional positive Auswirkungen. Wir haben uns deswegen an eine Rechtsberatung gewandt und das war viel wert. Ich möchte nun schildern, was wir herausgefunden haben. Das ersetzt natürlich keine Rechtsberatung, sondern kann nur als Einblick und Gedankenanstoß dienen. Auch hat der Rechtsanwalt betont: Im Zweifelsfall entscheidet immer ein Gericht, ob das was am Papier steht auch gilt, oder eben nicht. Das heißt, dass sich erst im Nachhinein zeigt, was vor dem Gericht hält. Da polyamore Konstellationen für Gerichte noch sehr unbekannt sind, birgt jede gerichtliche Auseinandersetzung die Gefahr, dass die Betroffenen und ihr Umfeld in ein mediales Licht gezerrt werden. Das kann negative Auswirkungen haben und ist wahrscheinlich nicht förderlich für Konfliktlösungen. Daher ist es in meinen Augen sinnvoll, sich möglichst frūh mit rechtlichen Aspekten zu befassen, Ziele und Entscheidungsparameter zu definieren und wenn möglich schriftlich festzuhalten. Man hofft natürlich immer, dass alles einfach und unbürokratisch geht. Wenn es aber nicht mehr einfach ist, ist man froh, auf bereits Durchdachtes, Verschriftlichtes zurückgreifen zu können.

Obsorge
Im Standardfall sind die ein bis maximal zwei Eltern diejenigen, die obsorgeberechtigt sind. Die Obsorgeberechtigung gilt bis zur Volljährigkeit des Kindes. In die Obsorge fallen viele Rechte und Pflichten, wie z.B. dass man auf das Kind aufpasst und alle Entscheidungen für das Kind trifft, zu denen es selbst rechtlich noch nicht in der Lage ist. Das Kind für den Kindergarten und die Schulen anmelden, Sparbücher für das Baby verwalten bis es das selbst kann, usw..

Was wir herausgefunden haben ist: Eltern können jemandem mit einer notariell beglaubigten Vollmacht eine Obsorgeberechtigung erteilen. Das ist ein Schriftstück, das eine Notarin oder ein Notar je nach Wünschen der Eltern verfasst und das die Eltern unterschreiben. Diese Vollmacht kann dann, wenn sie benötigt wird, bei Behörden vorgelegt werden.

Wichtig: Die rechtlichen Eltern können jederzeit ohne Angabe von Gründen diese Rechte und Pflichten, die sie erteilt haben, beim Notariat wieder einschränken/entfernen lassen. Es besteht also weiterhin eine rechtliche Hierarchie.

In diesem Dokument kann auch hineingeschrieben werden, dass die Eltern wünschen, dass das Kind im Falle ihres Ablebens in die Obsorge dieser Person kommt. Das hat aber angeblich mehr Gewicht, wenn es in der Letztwilligen Verfügung steht.

Letztwillige Verfügung
Das ist ein Dokument, in dem man hineinschreibt, was man im Falle des eigenen Ablebens möchte. So ein Dokument wird dann erstellt, wenn der letzte Wille von den sonst bestehenden gesetzlichen Richtlinien abweicht.

Wenn die rechtlichen Eltern sterben, bevor ihr Kind volljährig ist, leitet das Pflegschaftsgericht ein Verfahren ein, um zu entscheiden, wer nun die Obsorge für das Kind übernimmt. Das sind meistens Verwandte (Tanten, Onkel, Großeltern, je nach Verfügbarkeit und Nähe zum Kind). Wenn in der Letztwilligen Verfügung steht, wen die Eltern als obsorgeberechtigt wünschen, wird das vom Gericht evaluiert. Wenn nichts dagegen spricht, wird das Kind in die Obsorge diese Person gegeben. In unserem Fall ist es also sinnvoll, dass die rechtlichen Eltern mich in ihre jeweiligen Letztwilligen Verfügungen hineinschreiben.

In der Letztwilligen Verfügung geht es aber traditionell vor allem um das eigene Vermögen. Wenn z.B. jemand, der gesetzlich nicht erbberechtigt ist, etwas von meinem Erbe bekommen soll, dann kann ich das in dieser Verfügung veranlassen.

Diese Verfügung wird am besten notariell beglaubigt und im Notariat hinterlegt. Dann kann es im Todesfall weniger leicht zu Streitigkeiten kommen.
Eine Verfügung dieser Art sollte gut durchdacht und langfristig sinnvoll sein, da für jede Änderung ein (teurer) Termin im Notariat nötig ist.

Vermögen und Erbschaftsmasse
Unser Rechtsanwalt hat uns auf eine interessante Unterscheidung aufmerksam gemacht: Private Lebensversicherungen sind nicht Teil der Erbschaftsmasse. Das heißt, wenn man sichergehen will, dass jemand unabhängig davon, ob er*sie erbberechtigt ist, Geld im Todesfall bekommt, kann man diese Person in der Lebensversicherung eintragen. Das Geld wird dann unabhängig davon, wer aller gerichtlich als Erbe festgelegt wird, von der Lebensversicherung ausgezahlt. Das ist insbesondere in Streitfällen und im Hinblick darauf, dass eine Verlassenschaftsabwicklung mehrere Jahre dauern kann, interessant. Eine private Lebensversicherung allein deswegen abzuschließen ist glaub ich finanziell nicht sinnvoll. Denn Lebensversicherungen sind recht teuer geworden. Aber falls man eh schon eine hat, kann das durchaus eine nützliche Methode sein, um einer Person nach dem Tod schnell und unbürokratisch Geld zukommen zu lassen.

Allgemeines
Je mehr Personen beteiligt sind, desto mehr unterschiedliche Erinnerungen gibt es darüber, was man sich ausgemacht hat. Es kann durchaus sinnvoll sein, eine Hausratliste zu führen. Also laufend gemeinsam aufzuschreiben, was wem gehört. Das erleichtert z.B. Haushaltsauflösungen. Schriftliche Vereinbarungen über Geld und sonstiges Vermögen schaffen nicht nur Klarheit für diejenigen, die sie miteinander getroffen haben, sondern auch für potenzielle neue Partner*innen, die sich auch auskennen wollen. Es ist für eine neue Person ganz schön anstrengend, immer nachfragen zu müssen, was wem gehört, und nicht einfach in einer Liste nachschauen zu können.


Rechtlicher Hinweis: Wir sind keine Jurist*innen und haften nicht für die Richtigkeit der in diesem Artikel genannten Infos. Der Artikel wird nicht aktualisiert werden und ersetzt keine Rechtsberatung. Falls du Fragen hast, oder weitere rechtliche Möglichkeiten gefunden hast, teile sie bitte mit uns in den Kommentaren!

Ein Gedanke zu „Poly-Elternschaft: Rechtliche Möglichkeiten

  1. Sehr interessanter Artikel. Danke! Überhaupt sehr interessanter Blog.

    Ad Lebensversicherungen wollte ich darauf hinweisen, dass Versicherungen idR Er- und Ablebensversicherungen verkaufen, die als Kombiprodukt tatsächlich teuer sind.
    Wenn es nur darum geht, im Ablebensfall rasch Geld zur Verfügung zu haben, dann sind reine Ablebensversicherungen ausreichend und viel billiger zu haben. Dass sie nicht in die Erbmasse fallen, wusste ich gar nicht. Danke.

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